Leona Stahlmann: Der Defekt
Was geht in einer jungen Frau vor, die immer mehr realisiert, dass sich ihre Gefühlswelt meilenweit von der ihrer Altersgenoss*innen unterscheidet? Die anders spürt, anders verlangt, anders liebt? Mina empfindet Lust an Schmerzen. Als sie mit ihrem Mitschüler Vetko auf jemanden trifft, der sie zu verstehen scheint und dazu bringt, Gefühle radikal auszuleben, zerreißt es sie zunehmend – die Momente des Glücks sind ebenso gewaltig wie die Bedenken, sie zuzulassen. Immer wieder bedrängt Mina die zentrale Frage, die dem Buch seinen Titel gibt: Ist das ein „Defekt“?
Mina und Vetko wachsen in der Provinz auf, im Schwarzwald, mitten im Grünen und fernab jeglicher urbaner Szene-Milieus, die vielleicht Sicherheit gewähren könnten. Die Natur ist zentrales Motiv im Buch und äußerst ambivalent. Sie bietet Schutz und ist zugleich Bedrohung: „Die Bäume hatten sich aufgereiht, der Ginster die Lücken zwischen den Stämmen geschlossen und das Moos sich in die zugigen Ritzen der Türschwelle gedrängt und hatten Vetko und ihr den Weg nach draußen verstellt, zu den anderen.“ – Mina verlässt diese erdrückende „Idylle“ schließlich und beginnt ein Studium. Vetko bleibt. Und ist auch noch da, als Mina nach Jahren zurückkehrt…
Die Sprachgewalt, mit der Minas Geschichte erzählt wird, ist beeindruckend. Und dass es sich dabei um ein Debüt handelt, lässt uns die Augen reiben. Die Hamburger Autorin Leona Stahlmann hat einen Roman geschrieben, dessen Lektüre enorm lange nachhallt. Ein Buch, das bleiben wird. Ganz sicher.
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