Michael Ondaatje: Kriegslicht

Deutsch von Anna Leube, Hanser, 24,00 €
Buchcover

„Im Jahr 1945 gingen unsere Eltern fort
 und ließen uns in der Obhut zweier Männer
 zurück, die möglicherweise Kriminelle waren.“ So lautet der erste Satz des Romans. Es sind der 14-jährige Nathaniel und seine 16-jährige Schwester Rachel, die im London der Nachkriegszeit allein gelassen werden und deren Betreuer nun mit ihnen in der Wohnung leben. Der Ich-Erzähler, der mittlerweile erwachsene Nathaniel, erinnert sich. Es ist für ihn eine Zeit der außergewöhnlichsten Abenteuer. Er wird zu illegalen Hunderennen mitgenommen, zu nächtlichen Fahrten auf der Themse mit geheimnisvoller Ladung, er erlebt seine erste Liebe zu Agnes. Bedrohliche Zwischenfälle erreichen die Kinder, plötzlich ist die Mutter wieder da, die Betreuer sind verschwunden. Rachel wendet sich von der Mutter ab, Nathaniel versucht sie zu verstehen – dann kommt es zum gewaltsamen Tod der Mutter. Nathaniel fügt Beobachtungen und Ereignisse zusammen, recherchiert Fakten und Fragmente über ihre Tätigkeit als Spionin während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ondaatje ist ein Meister der Konstruktion, Verborgenes wird plötzlich hinter Sichtbarem deutlich, Erfundenes bleibt im Dämmerlicht, Details ergänzen sich langsam zu einem dichten Ganzen. Der genial komponierte Roman ist alles zugleich: Spionagethriller, traumatische Coming of Age-Geschichte und psychologisches Portrait einer nach Unabhängigkeit strebenden Frau – geschrieben in einer sehr poetischen, lebendigen Sprache.