Valeria Luiselli: Archiv der verlorenen Kinder

Deutsch von Brigitte Jakobeit, Kunstmann, 25,00 €
Buchcover

Über Valeria Luisellis „Archiv der verlorenen Kinder“ ist bereits viel in den Feuilletons geschrieben und gesagt worden – als Geheimtipp kann ihr Roman somit nicht mehr gelten. Ein absolutes Unikat ist ihr poetischer, vielschichtiger, von Brigitte Jakobeit wunderbar übertragener Text trotzdem.

In Luisellis Roadnovel brechen eine Frau, ihr Mann und die beiden Kinder zu einer außergewöhnlichen Reise durch die USA auf. Die Route ist dabei vorgezeichnet. Als Dokumentaristen archivieren die Eltern, deren Beziehung im Verlaufe der ausgedehnten Fahrt immer fragiler wird, Töne und Sounds in ihrer jeweiligen Umgebung. Die Mutter spürt den Schicksalen der auf der Flucht in die USA verlorengegangenen Kinder aus Südamerika nach, während der Vater – von der Geschichte der letzten Apachen fasziniert – den längst verhallten Echos dieses einst verfolgten Stammes hinterherjagt. Luiselli erzählt mit einer beeindruckenden psychologischen Tiefenschärfe vom Auseinanderbrechen einer Familie, sie erzählt von den feinsinnigen, ungeahnten Blicken der Kinder auf ihre Eltern und von einer großen Liebe, die auch im Bruch weiterbestehen kann. Gleichzeitig webt sie ihre Narration über zeitliche Grenzen hinweg und beschreibt die tragische Geschichte der Kolonialisierung Nordamerikas und der damit einhergehenden massenhaften Ermordung der Ureinwohner. Dieses düstere Kapitel der amerikanischen Geschichte verknüpft sie auf faszinierende Weise mit der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Migrationsdebatte in den USA und den menschenunwürdigen Flucht- und Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende.