Katharina Mevissen: Ich kann dich hören
Osman Engels und sein Cello sind eng miteinander verbunden. Der Ich-Erzähler ist Student an der Hamburger Musikhochschule und wohnt mit Andi und Luise in einer WG. Er ist im Ruhrgebiet aufgewachsen. Schwierig ist das Verhältnis zu seinem Vater, einem erfolgreichen Geiger, der als Student aus der Türkei nach Deutschland kam. Die Mutter hat die Familie früh verlassen, ein älterer Bruder lebt in Kanada. Die Schwester des Vaters, Elide, hat aus Familienverbundenheit ihren Plan, in Paris zu studieren, aufgegeben, um die kleinen Söhne des Bruders zu betreuen. Sie ist die zweite Erzählerin und man spürt in ihrem Ton die Verbitterung über ihr Leben. Als der Vater sich das Handgelenk bricht, die Tante um Hilfe bittet und ein missglücktes Cello-Vorspiel ihn belastet, gerät Osman in eine emotionale Krise. Er verlässt Freunde ohne Begründung und weigert sich zu kommunizieren. Zufällig kommt ein Diktiergerät in seine Hände. Er hört es ab und findet darauf die verschiedensten Geräusche, viel Stille und die Stimme einer jungen Frau – Ella –, die mit ihrer gehörlosen Schwester eine Reise macht. Osman flüchtet vor seinen eigenen Problemen in das Zuhören.
Die junge Autorin hat einen faszinierenden Roman mit besonderen sprachlichen Ausdrucksmitteln geschaffen. Sie setzt poetische Beschreibungen für alles Akustische ein, Töne werden durch Bilder lebendig, sogar die Gebärdensprache ist zu „hören“. Voller Spannung und Empathie folgt man den Erzählstimmen dieses beeindruckenden Buches.
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